Energetische Sanierungen von Wohnhäusern können mithilfe eines Sprint-Konzeptes deutlich schneller und günstiger als bisher gelingen. Eine detaillierte Planung, verbesserte Abläufe und eine neue Rollenverteilung auf der Baustelle verkürzen die Dauer der Kernphase einer Sanierung auf 22 Tage, wie jetzt ein Pilotprojekt in Hamburg bewiesen hat. Der Sprintansatzes kann zudem die Sanierungskosten für Hausbesitzer um fast ein Drittel senken, wie eine neue Studie des Thinktanks Agora Energiewende zeigt.
Die Pilotbaustelle des Sanierungssprints in Hamburg beinhaltete die Dämmung der Gebäudehülle, den Austausch der Öl-Heizung mit einer Wärmepumpe, die Installation einer PV-Anlage auf dem Dach, umfassende Modernisierungsmaßnahmen – etwa neue Fußböden und die Komplettsanierung des vorhandenen Bads – sowie eine Wohnraumerweiterung im Dachgeschoss einschließlich neuem Bad. Energiebedarf und CO₂-Emissionen des Hauses sind im Ergebnis um 90 Prozent gesunken. Die Kosten beliefen sich auf 2.579 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Vergleichbar umfassende Sanierungen in der konventionellen Baupraxis kosten zwischen 2.450 und 3.650 Euro pro Quadratmeter. Ein Markthochlauf der Idee Sprintsanierung könnte der Studie zufolge den Preis sogar auf knapp 1.900 Euro pro Quadratmeter senken.
Konzept ideal für Nachkriegsimmobilien
Ein- und Zweifamilienhäuser aus den Nachkriegsjahrzehnten eignen sich aufgrund ihrer ähnlichen Bauweise besonders gut für solche einfachen Sanierungskonzepte. Gleichzeitig bergen sie großes Potenzial, die Energieeffizienz im gesamten Gebäudebestand zu verbessern: So machen sie rund fünf der insgesamt 16 Mio. Ein- und Zweifamilienhäuser aus und haben noch überwiegend einen hohen Energieverbrauch.
Handwerker-Kooperationen gefragt
Voraussetzung für die Umsetzung des Konzepts Sanierungssprint sind, dass sich Unternehmen vor Ort auf eine steigende Nachfrage einstellen und gewerkeübergreifende Sanierungsteams bilden. Der Sanierungssprint setzt auf Effizienzsteigerungen, indem die verschiedenen Gewerke ihre Arbeiten mithilfe einer detaillierten Planung der Baustellenabläufe nebeneinander statt nacheinander ausführen.
Spannendes Geschäftsmodell
Für die Bau- und Baunebengewerke bietet der Sanierungssprint ein aussichtsreiches Geschäftsfeld: Vor dem Hintergrund der Krise im Neubau und rückläufiger Aufträge kann der Sanierungsmarkt den Auftragsrückgang zumindest teilweise kompensieren – und so wichtige Fachkräfte im Handwerk halten. Zugleich mildert der effizientere Einsatz von Fachkräften den absehbaren Mangel an Kapazitäten für die Umsetzung der Klimaziele ab. „Der Sanierungssprint ist eine dreifache Absicherung: Er sichert in der Baukrise eine neue Einnahmequelle für das Handwerk, den Werterhalt von Immobilien für Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer und wichtige Treibhausgasminderungen zum Erreichen der Klimaziele im Gebäudebereich“, erklärt Simon Müller die Vorteile des Konzeptes.
Coach und Assistenten hilfreich
Um den neuen Ansatz in die Breite zu bringen, sind laut Müller sowohl die Politik als auch das Handwerk gefragt. Denn neben der deutlich engeren Zusammenarbeit der Gewerke und einem detailliert abgestimmten Bauzeitenplan führt der Sanierungssprint auch neue Rollen ein: Ein Sanierungscoach ist die zentrale Koordinierungsstelle auf der Baustelle und achtet auf die Einhaltung des Bauzeitenplans. Eine Baustellenassistenz ist dafür zuständig, den Fachkräften nicht-fachliche Tätigkeiten abzunehmen, wie etwa Aufräumarbeiten oder die Bereitstellung von Werkzeug und Material.
Viele Chancen zur Kostensenkung
Agora Energiewende hat gemeinsam mit Umwelt- und Bauwissenschaftlern eine wissenschaftliche Analyse der Musterbaustelle erstellt. Die Autorinnen und Autoren zeigen darin weitere Kostensenkungspotenziale: Routinen und Lerneffekte steigern die Produktivität der beteiligten Handwerkerinnen und Handwerker; der Einsatz einer Baustellenassistenz entlastet die Fachkräfte und wirkt ebenfalls kostensenkend. Dazu bringen Skaleneffekte bei der Sanierung mehrerer baugleicher Häuser Kostensenkungen durch zum Beispiel Mengenrabatte und den Kauf und Mehrfacheinsatz von Ausrüstung. Zudem optimieren auf Sanierungssprints ausgerichtete Geschäftssysteme ihre Lieferketten, indem sie bei Bestellungen etwa auf Zwischenhändler verzichten können. In Summe kann ein Markthochlauf die Sanierungskosten laut der Studie um rund 30 Prozent senken. Die Effizienzgewinne ermöglichen demnach sowohl höhere Löhne und mehr Projekte für Handwerksbetriebe als auch geringere Sanierungskosten für Kundinnen und Kunden.
Keine neuen Technologien nötig
„Der Sanierungssprint erleichtert energetische Modernisierung mit innovativen Mitteln und kommt dabei ohne neue Technologien aus. Das Resultat ist eine viel kürzere Baustellenzeit, wodurch ein zentrales Hemmnis für Sanierungen wegfällt“, sagt Simon Müller, Direktor von Agora Energiewende Deutschland. „Damit hat der Sprintansatz das Potenzial, Sanierungen deutlich attraktiver zu machen und den Sanierungsstau bei Ein- und Zweifamilienhäusern zu lösen.“
Rückenwind aus der Politik gefordert
Um den Sanierungssprint flächendeckend nutzbar zu machen, schlägt Agora fünf Politikmaßnahmen vor: 1. Die Einrichtung einer Marktentwicklungsstelle, zu deren Aufgaben es beispielsweise gehört, Wissen und Informationen aufzubereiten und zu verbreiten beziehungsweise Pilotprojekte zu begleiten; 2. Die Einführung einer Zusatzqualifikation für Sanierungscoaches; 3. Kurzfristige Boosterförderungen, insbesondere um die Anzahl an Sanierungscoaches zu erhöhen, und Prämien für erfolgreiche Sanierungssprint-Projekte; 4. Eine pragmatische Anpassung der Förderlandschaft, die über typische Schwierigkeiten beim Erreichen einzelner Sanierungsanforderungen hinweghilft sowie 5. Der Abbau von bürokratischen Hemmnissen, durch weniger Genehmigungspflichten und vereinfachte beziehungsweise reduzierte Abstandsregelungen. „Damit die Sanierungsraten steigen, ist es neben privatwirtschaftlicher Innovation und politischer Flankierung entscheidend, die Förderlandschaft zu vereinfachen. Gleichzeitig muss Unterstützung bedarfsgerecht ausgestaltet werden, damit sich alle die energetische Sanierung ihres Hauses auch leisten können“, sagt Müller.
Studie liefert Details
Die Studie „Der Sanierungssprint für Ein- und Zweifamilienhäuser – Potenzial und Politikinstrumente für einen innovativen Ansatz zur Gebäudesanierung“ ist in Zusammenarbeit mit dem ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH und dem Institut für Baubetriebslehre der Universität Stuttgart erschienen. Analysegrundlage ist der Praxisbericht „Der Sanierungssprint – Wie ein innovatives Konzept den Sanierungsstau bei Ein- und Zweifamilienhäusern auflösen kann. Ein Praxisbericht“, den die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF) und das Ingenieurbüro Ronald Meyer in Zusammenarbeit mit Agora Energiewende im März 2024 herausgebracht haben. Die vorliegende Studie enthält eine baubetriebliche und wirtschaftliche Auswertung der Pilotbaustelle, eine Ermittlung der Kostensenkungspotenziale sowie Politikvorschläge zum Markthochlauf des Sanierungssprints. Die Studie steht auf der Webseite von Agora Energiewende zum kostenfreien Download bereit.
Autor:
Volksbank Herford-Mindener Land – Bild © Zhu Difeng – adobe stock