Berufskrankheiten treten immer häufiger auf: Die Zahl steigt seit Jahren, zuletzt sogar sprunghaft und massiv. Wichtigste Hürde bei der Anerkennung von Berufskrankheiten durch Berufsgenossenschaften (BG) oder Unfallkassen: Leistungen gibt es nur, wenn – gemäß der Definition der Berufskrankheiten – ein Zusammenhang zwischen Erkrankung und Beruf besteht. Der aber ist oft schwer nachweisbar.
Helfen können die Arbeitgeber: Die Firmenleitung sollte eine – inzwischen auch für psychische Risiken vorgeschriebene – Gefährdungsbeurteilung nutzen, um sich auch mit der Gefahrendokumentation für den Fall von Berufskrankheiten auseinanderzusetzen. Wer Vorkehrungen gegen die Gefährdungen für häufige Beispiele von Berufskrankheiten trifft, erfüllt nicht nur gesetzliche Vorschriften. Er oder sie stärkt auch die Einsatzfähigkeit der Beschäftigten und erleichtert einen eventuell später nötigen Antrag wegen einer Berufskrankheit.
Belastungen dokumentieren
Firmenchefs und -chefinnen sollten mit der zuständigen Berufsgenossenschaft und ihrer Rechtsanwaltskanzlei klären, wie sie Belastungen dokumentieren können, die häufige Berufskrankheiten auslösen können. Unterlassen Unternehmer Sicherheitsvorkehrungen, drohen Regressforderung der gesetzlichen Unfallversicherung. Außerdem müssen sie – ebenso wie Ärztinnen und Ärzte – den Verdacht auf eine Berufskrankheit umgehend der zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse melden. Nur so gibt es Leistungen der Unfallversicherungsträger. Diese umfassen neben den Kosten für medizinische Behandlung oder Rehabilitation auch Hilfsmittel, Pflege sowie Geldleistungen.
Verdacht muss gemeldet werden
Auch Versicherte oder ihre Angehörigen können den Verdacht auf Berufskrankheiten melden, ebenso ihre Krankenkassen. Abgesichert sind vor allem Risiken durch häufige Berufskrankheiten, dazu zählt jetzt auch Covid-19 für Angehörige medizinischer Berufe oder als Arbeitsunfall auch für andere gesetzlich Unfallversicherte bei Ansteckung bei der Arbeit. Eine Sars-Cov-2-Infektion zählt mittlerweile zu den häufigsten Berufskrankheiten.
82 Berufskrankheiten auf Liste
Die Berufskrankheitenliste umfasst derzeit 82 Erkrankungen. Häufige Beispiele sind Lärmschwerhörigkeit, Asbestose oder durch Siliziumdioxid ausgelöster Lungenkrebs. Auch „Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautveränderungen durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen, Pech oder ähnliche Stoffe“ – gelten beim Dachdecken oder im Straßenbau als klarer Fall.. Infektionskrankheiten werden bei hoch exponierten Personen anerkannt, auch „von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten“ oder Tropenkrankheiten. Zudem sind Erkrankungen der Bandscheiben in Lenden- oder Halswirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen von Lasten gute Beispiele für anerkannte Berufskrankheiten gemäß Definition.
BGs großzügiger als Krankenkassen
Wer Nachweise beibringen kann, hat eher Aussicht auf Leistungen der Berufsgenossenschaften. Und die sind großzügiger, als die der Krankenkassen. Eine einfache Beweisführung reicht für Lärmschwerhörigkeit, Hautkrankheiten, berufsbedingte Allergien, Schadstoffen zuzurechnende Krebserkrankungen. Gut die Hälfte der Ausgaben der Berufsgenossenschaften entfiel jahrelang auf eine Handvoll Berufskrankheiten – ganz vorne lag laut Bundesregierung die Belastung durch Asbest. Arbeitsrechtlerinnen und -rechtler vermuten eine hohe Dunkelziffer bei vielen anderen Erkrankungen. Denn für nicht in der Liste enthaltene Beschwerden ist eine Anerkennung als Berufskrankheit durch BG oder Unfallkasse kaum zu erreichen.
Jeder zweite Anspruch wird abgelehnt
Nach Angaben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) – dem Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand – werden rund drei Viertel aller Ansprüche auf Anerkennung abgelehnt: 2018 kam es in 19.748 von 78.384 Verfahren zur Anerkennung einer Berufskrankheit, 2019 in 18.156 von 79.234 Fällen. Seit 2020 steigt die Zahl wegen Covid-192020 fanden 52.956 der insgesamt 106.491 angezeigten Berufskrankheiten eine Anerkennung durch Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse, darunter 30.329 Covid-19-Erkrankungen. 2021 erkannten die Unfallversicherungsträger 123.228 von 226.611 Meldungen an, darunter 152.173 Covid-19-Meldungen. 2019 wurden lediglich 787 Infektionen als Berufskrankheit anerkannt.
Psychische Probleme fehlen auf Liste
Lehnen der Unfallversicherungsträger sowie dessen Rentenausschuss einen Antrag auf Anerkennung als Berufskrankheit ab, können Betroffene dagegen Einspruch einlegen und beim Sozialgericht klagen. Allerdings sind die Erfolgsaussichten gering. Selbst bei der Anerkennung von Hauterkrankungen als Berufskrankheiten liegt die Anerkennungsquote nur bei zwei Prozent. Vor allem bei den zunehmend verbreiteten psychischen Erkrankungen stehen die Chancen auf Leistungen der Berufsgenossenschaft besonders schlecht. Das Landessozialgericht Bayern hat beispielsweise die Klage eines Versicherungsfachwirts auf Anerkennung seiner Depression und Burnout-Erkrankung abgewiesen. Psychische Erkrankungen lassen sich nach Ansicht der Richter nicht generell als beruflich belastungsbedingt einordnen. Die dafür nötigen wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine erhöhte Belastung einer bestimmten Personengruppe fehlten, so ihr Argument. Auch im Einzelfall konnten sie eine solche Belastung nicht erkennen. Am Nachweis von Berufskrankheiten scheitert die gutachterliche Beweisführung häufig.
Prävention weiter verbessern
Um die Anerkennungsquote von Berufskrankheiten näher an das mutmaßlich tatsächlich höhere Maß zu bringen, fordern Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner, dass Betriebe für jedes Jobprofil die durchschnittlichen Belastungen dokumentieren müssen. Diese Daten sollten zentral und nicht personenbezogen nach Tätigkeitsprofilen bei einer unabhängigen Stelle gespeichert werden. Ein solches Prozedere für eine einfachere Anerkennung von Berufskrankheiten ist allerdings noch nicht Pflicht. Unternehmerinnen und Unternehmer können deshalb nur aus eigenem Antrieb mehr tun, als die nötigen Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten und Gefährdungen zu dokumentieren. Auch können sie darüber hinaus für Prävention sorgen.
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Volksbank Herford-Mindener Land – Bild © Pormezz – adobe stock